„Thesen zum Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert“

Utz Klöppelt

Zum Stand von Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert

15 Schülerinnen und Schüler meiner Schule erkunden die Spuren der Russischen Revolution 1917 und ihrer Folgen im Stadtraum Berlins. Sie nehmen teil am History Summer Camp 17|17, (27. is 29. September 2017) organisiert von der Kooperative Berlingefördert durch die Bundesstiftung Aufarbeitung, die Berliner Landeszentrale für politische Bildung sowie die Bundeszentrale für politische Bildung.

Tür des dbb-forums berlin © Utz Klöppelt, Berlin, 28. September 2017

Zeitgleich findet die Zweijahrestagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik (KGD) im dbb-forum berlin statt (28. bis 30. September 2017). [1] Die Konferenz verspricht sowohl eine Positionsbestimmung zum Geschichtsunterricht und zur Geschichtsdidaktik als auch einen Ausblick ins weitere 21. Jahrhundert. [2] In den Fokus rücken die zentralen „W-Fragen“, hier auf den Geschichtsunterricht zu beziehen: „Wie?“, „Was?“, „Womit?“, „Wer?“, Für wen?“. Ob eine Positionsbestimmung angesichts der Vielfalt dieser Fragen gelingen kann?

Mehr Fragen als Antworten: der „Türöffner“ der Tagung

Ich habe die Möglichkeit, zumindest einen Vortrag anzuhören, bevor ich wieder zu meinen Schülerinnen und Schülern zurück muss. Nach der Eröffnung der Zweijahrestagung durch den 1. Vorsitzenden der KGD, Prof. Dr. Thomas Sandkühler von der Humboldt-Universität zu Berlin, und den Grußworten spricht Charlotte Bühl-Gramer, Professorin für Geschichtsdidaktik an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Ihr Vortrag trägt den Titel: „Thesen zum Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert“.

Sie versteht ihn als „Türöffner“ für die Tagung, stellt daher eher Fragen als dass sie Antworten gibt, diagnostiziert die gegenwärtige Diskussion um Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik, formuliert aber auch einige Thesen, ohne den Diskussionen der Tagung zu viel vorweg zu nehmen.

© Programmbroschüre der KGD 2017 (Auszug); Photographie von Utz Klöppelt

Am Ende steht ein bunter Strauß an Themen, Thesen und Fragen. Ich fasse sie im Folgenden – Themenbereichen zugeordnet und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – zusammen bzw. gebe sie wieder, hier ganz unabhängig davon, ob es sich um Ausführungen zu Themen der gegenwärtigen Diskussionen handelt, um Fragen oder Bühl-Gramers eigene Thesen:

Ziele des Geschichtsunterrichts

  • Was ist historisches Wissen?
  • Der Begriff „Handlungskompetenz“ müsse klar(er) definiert sein: Geschichtsunterricht könne keine Handlungsanweisungen für die Gegenwart vermitteln, wohl aber Handlungsfelder sichtbar werden lassen, d.h. auf Basis einer Rekonstruktion vergangenen Geschehens Handlungsoptionen aufzeigen.
  • Geschichtsunterricht müsse ein deutliches Augenmerk auf Wertevermittlung legen. Vor allem gehe es darum, historische Wertmaßstäbe zu erkennen und sich damit auseinanderzusetzen.

Curricula

  • Die chronologische Orientierung der Curricula sei nach wie vor diskussionswürdig. Wenn es wahr ist, dass Chronologie als Konstruktionsprinzip der Curricula, zwar nicht gänzlich, doch zumindest über alle Jahrgangsstufen hinweg, verzichtbar ist, dann müsse und könne neu über die Wahl der Inhalte und Themen nachgedacht werden. Könnte in diesem Zusammenhang das „exemplarische Prinzip“ stärker berücksichtigt werden?
  • Über die Orientierung an kanonisierten verbindlichen Fakten, Namen und Begriffen in einigen Curricula müsse neu nachgedacht werden. Bedeutsam sei die Frage danach, wie viel Wissen Schülerinnen und Schüler benötigten bzw. welche Themen für eine Kompetenzförderung relevant seien um anschlussfähige Wissensstrukturen zu entwickeln.
  • Mikro- und Makrohistorie: Schülerinnen und Schüler sollten neben lokaler Geschichte auch nationale und globale Konzepte (vgl. das Konzept der Global History bzw. World History) kennen, anwenden und beurteilen lernen.

Geschichtsunterricht in Gesellschaft und Politik

  • Angesichts (neuer) politischer Radikalismen und identitärer Bewegungen: Kann Geschichtsunterricht zukunftsgerichtete Absolutheitsansprüche relativieren?
  • Inwiefern kann Geschichtsunterricht vor populistischer Komplexitätsreduktion schützen?

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Verhältnis von Geschichtsunterricht, Geschichtswissenschaft und -didaktik

  • Wie sollen Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer mit dem Detailwissen der Geschichtswissenschaft umgehen?
  • Wie soll ein sinnvoller Gegenwartsbezug aussehen?
  • Wie mit dem Konzept „Geschichtskultur“ umgehen? Die Auswahlkriterien bezüglich der Elemente der Geschichtskultur seien nicht klar, die Auswahlfrage sei in der Didaktik kaum gestellt. Dem Fach Geschichte komme aber die besondere Aufgabe zu, für Orientierung auf dem Feld der Geschichtskultur zu sorgen.
  • Welchen Raum sollte Geschichtstheorie im Studium einnehmen?

Neue Medien

  • Der Geschichtsunterricht sei „Medienbildung par excellence“, Fragestellungen und Erkenntnisverfahren blieben unberührt von der Integration moderner Medien in den Geschichtsunterricht.

Vielfalt im Geschichtsunterricht

  • Welche Konsequenzen müssen aus der Ausdifferenzierung subjektiver Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler gezogen werden?
  • Im Bereich der Lokalgeschichte könnten transkulturelle Erweiterungen bedacht sein.
  • Unterschiedliche sprachliche Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler machten Konzepte wie den sprachsensiblen Fachunterricht notwendig.

Geschichtsunterricht an unterschiedlichen Schulformen

  • In Frage stünden nach wie vor integrative Fächerkonzepte, wie z.B. das Fach Gesellschaftslehre an Gesamtschulen.
  • Die Fachdidaktik müsse sich wesentlich stärker dem nicht-gymnasialen Geschichtsunterricht widmen.

Ausbildung von Geschichtslehrerinnen und -lehrern

  • Das andere Fach der Studierenden und Referendare müsse stärker mit Bezug auf Synergieeffekte mit dem Fach Geschichte berücksichtigt werden.
  • Sollte das Fach Gesellschaftslehre (stärker) in der Lehrerausbildung verankert sein?

Soweit die Themen, Thesen und Fragen, die Charlotte Bühl-Gramer u. a. in ihrem Vortrag ansprach. Welche Antworten die Zweijahrestagung für Geschichtsdidaktik fand, wird in einem Beiheft der Zeitschrift für Geschichtsdidaktik nachzulesen sein. [3] Es soll noch vor dem Historikertag 2018 (Münster) erscheinen. Der Newsletter von „Geschichte 21“ wird darüber informieren.

Fliegt „der Erste Weltkrieg … uns jetzt im Nahen Osten um die Ohren“? – Die Podiumsdiskussion der Zweijahrestagung

Wie auch immer die Antwort – eine Zuhörerin der Podiumsdiskussion der Zweijahrestagung für Geschichtsdidaktik greift in ihrem Kommentar wesentliche Aspekte der Diskussion auf:

Ich wünsche mir, dass man Themen so auswählt, dass sie für heute wichtig sind. Für einen multikulturellen Geschichtsunterricht oder einen Klassenraum gebe ich ein Beispiel: Der Erste Weltkrieg wird sicherlich in keinem Curriculum fehlen […]. Nur, ich kann ihn so auswählen und so relevant machen, dass ich verstehe, dass der Erste Weltkrieg ein Weltkrieg war und dass er uns jetzt im Nahen Osten um die Ohren fliegt. […] Und damit könnte ich auch alle im Geschichtsunterricht ansprechen, also die mit und die ohne Migrationshintergrund […]. Diese relevanten Fragen, das ist natürlich Aufgabe von Geschichtslehrern und -lehrerinnen und […] von Didaktikern und Didaktikerinnen, die das vermitteln müssen.“ [4]

Die Auswahl der Themen und Inhalte, Vielfalt bzw. Heterogenität in den Lerngruppen, die Curricula, zudem integrative Konzepte wie das Fach Gesellschaftslehre: Wer sich näher mit den Themen befassen möchte, die die Gäste auf dem Podium diskutierten, dem sei die Zusammenfassung in Campus & Karriere vom 30.09.2017 im Deutschlandfunk empfohlen (sh. Rubrik „Zum Weiterlesen und Hören“ unten).

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Zum Weiterlesen und Hören

Zusammenfassung der Podiumsdiskussion (Campus & Karriere, 30.09.2017, Deutschlandfunk)

„Quo vadis, Geschichtsunterricht?“ – Blogbeitrag auf Geschichte 21 im Vorfeld der Zweijahrestagung für Geschichtsdidaktik

Bildnachweise

  • „Tür des dbb-forums berlin“ © Utz Klöppelt, Berlin, 27. September 2017
  • „Programmbroschüre der KGD: Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert. XXII. Zweijahrestagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik. Berlin, 28. bis 30. September 2017 (Auszug)“; © Photographie von Utz Klöppelt

Fußnoten

[1] Vgl. auch meinen Blogbeitrag vom 19. Juli 2017 im Vorfeld der Zweijahrestagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik: „Quo vadis, Geschichtsunterricht“, URL: https://geschichte21.de/quo-vadis-geschichtsunterricht/.

[2] Vgl. Hashtag zu den Diskussionen auf Twitter: #KGD17.

[3] Vgl. Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, hg. im Auftrag der Konferenz für Geschichtsdidaktik, Thomas Sandkühler, Charlotte Bühl-Gramer et al., Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht; 2002ff.

[4] Kommentar einer Zuhörerin der Podiumsdiskussion am 28. September 2017 im dbb-forum berlin, ehemals URL: . (Stand: 09.10.2017), Minute 40:43 bis Minute 42:03.

Porträtfoto Autor Utz Klöppelt

autor | utz klöppelt

Hier schreibt dein Kollege - mit mehr als 15 Jahren Erfahrung mit Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik, der Gründer von Geschichte 21. Ich helfe Geschichtslehrer:innen mit der Akademie | Geschichte 21, meinem Podcast, Newsletter und Blog dabei, ihren Geschichtsunterricht noch besser zu machen!

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