Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert
„Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert“ – so lautet der Titel der in diesem Jahr wieder stattfindenden Zweijahrestagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik (Berlin, 28. bis 30. September). Dass ich in diesem Blogbeitrag auf die Tagung hinweise, versteht sich von selbst. Denn Geschichte 21 beschäftigt sich u.a. mit der Frage, die in der Abschlussdiskussion der diesjährigen Konferenz gestellt wird: „Quo vadis, Geschichtsunterricht?“ [1]
Ausgerichtet wird die Konferenz von der Konferenz für Geschichtsdidaktik (KGD), dem Fachverband zur „Förderung der wissenschaftlichen Entwicklung der Didaktik der Geschichte“. [2]
Laut Programm wird sich die Konferenz in Vorträgen und verschiedenen Sektionen vor allem mit folgenden Themenschwerpunkten befassen:
- Thesen, Forderungen und Prognosen zum Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert
- Überlegungen zum Zweck des Geschichtsunterrichts im 21. Jahrhundert
- Inhalte und Themen für den Geschichtsunterricht des 21. Jahrhunderts, u.a. curriculare Entwicklung
- Inklusion und Exklusion
- Methodische Zugriffe bzw. Unterrichtsgestaltung
- Kompetenzen von Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrern
- (Digitale) Medien im Geschichtsunterricht
Somit werden viele klassische Themen der Geschichtsdidaktik abgedeckt sein: Didaktik, Methodik, Inhalte, Lehrerausbildung, Medien.
Ohne Zweifel verspricht die Konferenz interessant zu werden: nach langen Jahren Diskussion – die sicher noch nicht abgeschlossen ist – um Kompetenzen im Geschichtsunterricht ist es fast schon überfällig, dass wir uns gesammelt den Inhalten und Themen widmen, die für die „Generation 21“ von Bedeutung sein dürften. Denn ohne eine Diskussion um Themen und Inhalte und ohne eine Auslotung des Selbstverständnisses von Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrern bleiben Kompetenzen blind.
(Neue) Schwerpunkte in Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik – eine Skizze
Wo stehen wir? Wenn es um Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik im 21. Jahrhundert für die „Generation 21“ geht, dann werden zzt. vor allem folgende Schwerpunkte gesetzt:
- (Europäische) Identität
- Integration digitaler Medien
- Kompetenzorientierung
- Neubesinnung auf bedeutsame Inhalte und Themen unter Berücksichtigung von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartserfahrung und Zukunftserwartung
Während sich dieser Blog vor allem dem zweiten und letztgenannten Schwerpunkt widmet, gibt es eine Reihe von sehr lesenswerten und vielversprechenden Blogs und Projekten, von denen hier nur einige skizziert und genannt werden können.
Geschichtsunterricht im Europa der Gegenwart
„Education for Diversity and Democracy: teaching history in contemporary Europe” [3] – „Erziehung zu Vielfalt und Demokratie: Geschichte im Europa der Gegenwart unterrichten“ – unter diesem Titel firmiert eine Arbeitsgruppe des Europarates, der es sich zum Ziel gesetzt hat, mit den Schwerpunkten Vielfalt und Demokratie Identifikationsangebote und Identitätsbildung für die zukünftigen, politisch mündigen Bürgerinnen und Bürger Europas zu schaffen und zu ermöglichen. Das Projekt ist motiviert durch die Überzeugung, dass der Weg zum Frieden über Bildung und Kultur geht. Dabei komme laut der Europäischen Kulturkonvention des Europarates – bereits 1954 formuliert – dem Geschichtsunterricht neben dem Sprachenlernen eine besondere Funktion zu. [4] Wir können gespannt sein, welche Ergebnisse das Projekt zeitigen wird!
Digitale Medien im Geschichtsunterricht
Im Zusammenhang mit der Diskussion um Kernkompetenzen für die „Generation 21“, die vor allem von Überlegungen in den USA beeinflusst ist (z.B. „P21: Partnership for 21st Century Learning“) [5], steht auch die Debatte um einen sinnvollen Einsatz digitaler Medien im Geschichtsunterricht. Dabei lassen sich vor allem drei Tendenzen beobachten:
- Rückschritt hinter das bislang Erreichte, zumeist Technik um der Technik willen
- Paradigmenwechsel vom „Analogen“ zum „Digitalen“, zumeist mit (etwas) Mehrwert (etwa, wenn ein (Voraus-)Urteil anstelle herkömmlicher Methoden (Klebepunkte, Positionslinie etc.) durch eine Kahoot-Abfrage ersetzt wird) [6]
- Neue Möglichkeiten durch den Einsatz digitaler Technik und Medien (z.B. Ermöglichung personalisierten Lernens und individueller Zugänge; Möglichkeiten für Projektlernen) [7]
Wir befinden uns hier auf einem spannenden und in vielen Teilen vielversprechenden Weg. Sehr erfreulich ist zu beobachten, dass sich inzwischen ein „digitales Milieu“ herausgebildet hat. Ein kurzer Blick in Twitter reicht, um sich assoziativ mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die Experimentierfreude ist groß. Das Thema wird überschaubarer durch zahlreiche Blogs, z.B. denjenigen von Daniel Bernsen, Medien im Geschichtsunterricht, der jüngst zusammen mit Ulf Kerber aktuelle Themen und Fragestellungen auch in einem Buch versammelt hat. [8] Sehr anschaulich und mit vielen Beispielen aus der Praxis kommt auch der Blog der Geschichts-, Latein- und Englischlehrerin Nina Toller, Toller Unterricht, [9] daher.
Kompetenzen im Geschichtsunterricht
Das Thema Kompetenzorientierung im Geschichtsunterricht ist inzwischen ein weites Feld. Sicher ist nur, dass der Stand der Diskussion nicht abgeschlossen ist, Kompetenzen aber weiterhin eine Rolle spielen werden. Aus den Curricula der Länder sind Kompetenzen nicht mehr wegzudenken, berücksichtigt man den Stand der geschichtsdidaktischen Diskussion, wird es u.U. noch Modifikationen geben. [10]
Bedeutsame Inhalte und Themen für die „Generation 21“
Zunehmend kann auch eine Neubesinnung auf bedeutsame Inhalte und Themen des Geschichtsunterrichts beobachtet werden. Im Zuge der Kompetenzorientierung, aber auch von Themen wie kooperativem Lernen, kommt es einem manchmal so vor, als werde nur wenig Augenmerk auf sinnvolle Inhaltsauswahl und Thematisierung gelenkt. Inhalte werden z.B. bisweilen dem Primat unterworfen, kooperatives Lernen zu ermöglichen. Oder sie werden ausgewählt, weil sie etwa passend sind, Perspektivität oder Kontroversität erkennbar werden zu lassen. Ob diese Inhalte über abstrakte Zielperspektiven hinaus auch in anderer Hinsicht relevant und bedeutsam sind, rückt hin und wieder in den Hintergrund.
Blogs wie dieser wollen daher vor allem einen Beitrag dazu leisten, (neue) gewinnbringende (digitale) Angebote mit Kompetenzförderung und sinnvollen Zielperspektiven zu verknüpfen. Dabei haben u.a. Schlüsselprobleme unserer Gegenwart eine erkenntnis- und handlungsleitende Funktion. [11]
Nicht ausschließlich, aber ergänzend zu anderen Auswahlkriterien müssen die Ziele für nachhaltige Entwicklung, die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen, [12] und der Nationale Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung [13] dabei bedacht werden. Nachhaltigkeit wird berücksichtigt werden und der Geschichtsunterricht sich damit auseinandersetzen müssen, auch in curricularer Hinsicht. Denn der Nationale Bildungsplan für nachhaltige Entwicklung fordert eine Integration in die Curricula der Bundesstaaten.
Abschließend: „Butter bei die Fische“ …
…, wie man im hohen Norden sagt, daher hier meine Forderungen, Prognosen und Thesen für Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik im 21. Jahrhundert:
- Historische Kompetenzen sollten weiterhin eine herausragende Rolle spielen, müssen aber mit bedeutsamen Inhalten und sinnvollen Zielperspektiven verknüpft sein.
- Digitale Medien und neue technische Möglichkeiten sollten in den Geschichtsunterricht eingebracht werden, nicht nur um den medialen Gewohnheiten der „Generation 21“ gerecht zu werden, sondern auch um sie zu einem sinnvollen Umgang mit neuen (geschichtskulturellen) Medien zu befähigen.
- Eine Auseinandersetzung mit kultureller, religiöser und ethnischer Vielfalt in unseren Klassenräumen ist ein Muss: ggf. gilt es curriculare Konsequenzen zu ziehen, ggf. sollten Projekte wie das oben genannte „Education for Diversity and Democracy“ diskutiert werden, wenn es um Identitätsbildung geht.
- Der „Aktionsplan für nachhaltige Bildung“ und die SDGs erfordern u.a. eine (Rück-)Besinnung auf sinnvolle Inhaltsauswahl und Thematisierung.
- Wir benötigen mehr Wissenschaft im und für den Geschichtsunterricht: Welche Kompetenzen können und sollen Schülerinnen und Schüler in einem bestimmten Lernalter ausbilden, welche Inhalte, Konzepte und Themen sind in welchem Lernalter bedeutsam und sinnvoll?
- (…)
Autor: Utz Klöppelt
Hier schreibt dein Kollege – mit mehr als 15 Jahren Erfahrung in Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik, Gründer von Geschichte 21.
Ich helfe Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrern dabei, ihren Geschichtsunterricht noch besser zu machen!
Auf meinem Blog Geschichte 21 und in meinem Flugblatt | Geschichte 21, dem Newsletter für die 5-Minuten-Tipps für dein Fach Geschichte, erhältst du mindestens zwei Mal pro Woche Anregungen und Hinweise für deinen Unterricht!
Mein geballtes Wissen und meine gesamte Expertise stelle ich dir in meinen beliebten Fortbildungen, Kursen, Workshops, einem plattform-internen Podcast und Webinaraufzeichnungen in meiner Akademie | Geschichte 21, dem Online-Portal für den Geschichtsunterricht, zur Verfügung! Du kannst die Themen deiner Wahl dort auf Abruf vertiefen!
Dort findest du auch Unterrichtsmaterial zum Download für deinen Geschichtsunterricht.
Abseits von Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht findest du mich u. a. beim Sport (Rudern, Stand-up-Paddling und Basketball) sowie beim Lesen von vorwiegend amerikanischer Literatur!
Fußnoten
[1] Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert. XXII. Zweijahrestagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik, Programmbroschüre, hrsg. v. der Konferenz für Geschichtsdidaktik, 2017, S. 5.
[2] Konferenz für Geschichtsdidaktik (Hg.). „Willkommen auf unserer Homepage“, erstellt am 26.09.2012, zuletzt geändert am 26.11.2014, URL: https://www.historicum.net/kgd/ (Stand: 15.07.2017).
[3] Council of Europe (Hg.). „Education for Diversity and Democracy: teaching history in contemporary Europe. Objectives of the project“, URL: http://www.coe.int/en/web/history-teaching/objectives-of-the-project (Stand: 15.07.2017).
[4] Council of Europe (Hg.). „The European Cultural Convention“, URL: http://www.coe.int/en/web/history-teaching/the-european-cultural-convention (Stand: 17.07.2017).
[5] P21. Partnership for 21st Century Learning, URL: http://www.p21.org/index.php (Stand: 15.07.2017).
[6] Vgl. den offenen Blick auf eine Unterrichtsstunde mit Einsatz digitaler Technik: Marc Albrecht-Hermanns. „Digital lernen. Soll die Himdenburgstraße umbenannt werden?“, auf: FortbildungPunktSchule, 06.07.2017, URL: https://fortbildungsinfo.wordpress.com/2017/07/06/soll-die-hindenburgstrasse-umbenannt-werden/ (Stand: 17.07.2017).
[7] Vgl. Utz Klöppelt- „Die Quellen sprechen im Geschichtsunterricht“, Geschichte 21, 25.6.2017. URL: https://geschichte21.de/die-quellen-sprechen/ (Stand: 17.07.2017).
[8] Daniel Bernsen. Medien im Geschichtsunterricht, URL: https://geschichtsunterricht.wordpress.com (Stand: 17.07.2017) und ders. und Ulf Kerber (Hg.). Praxishandbuch historisches Lernen und Medienbildung im digitalen Zeitalter, Leverkusen: Verlag Barbara Budrich; 2017.
[9] Nina Toller. Toller Unterricht, URL: https://tollerunterricht.com (Stand: 17.07.2017).
[10] Vgl. zur Debatte um historische Kompetenzen z.B. Peter Gautschi. „Plausibilität der Theorie, Spuren der Empirie, Weisheit der Praxis – Zum Stand der geschichtsdidaktischen Kompetenzdiskussion“, in: geschichte für heute 3/2016, 5-19 und Hans-Jürgen Pandel. „Kompetenzen – ein Rückblick nach zwölf Jahren“ in: geschichte für heute 3/2016, 20-35.
[11] Vgl. z.B. den Auftaktbeitrag von Geschichte 21: Utz Klöppelt. „Geschichte für die ‚Generation 21′“, Geschichte 21, 04.06.2017, URL: https://geschichte21.de/geschichte-fuer-die-generation-21/ (Stand: 17.07.2017).
[12] United Nations. Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development, September 2015, URL: https://sustainabledevelopment.un.org/content/documents/21252030%20Agenda%20for%20Sustainable%20Development%20web.pdf (Stand: 17.07.2017).
[13] Bundesministerium für Bildung und Forschung / Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung (Hg.). Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung, 20.06.2017, URL: https://www.bne-portal.de/bne/de/nationaler-aktionsplan/nationaler-aktionsplan (Stand: 14.8.2021).
Bildnachweise
- „Programmbroschüre (2017) der Konferenz für Geschichtsdidaktik (Auszug)“; © Konferenz für Geschichtsdidaktik, photographiert von Utz Klöppelt
- „Quo vadis, Geschichtsunterricht?“ © Konferenz für Geschichtsdidaktik, photographiert von Utz Klöppelt
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