Mich hat vor allem motiviert, dass ich mit dem Buch eine Botschaft vermitteln könnte.“
Seif Arsalan 2018
Aus Syrien geflüchtet. Ein autobiografischer Roman von Seif Arsalan erschien zu Beginn des Jahres (2018) in der Reihe K.L.A.R.-reality des Verlages an der Ruhr: „Von Jugendlichen für Jugendliche geschrieben“ werden z.T. schwere Schicksalsschläge thematisiert. Die Geschichten sind bewusst einfach aufgebaut, in „leicht verständlichem Vokabular und einer alltagsnahen Sprache“. [1]
Ich hatte mir das Buch gekauft, es gelesen und festgestellt, dass es sich für den Einsatz im schulischen Unterricht eignet (Deutschunterricht, Jahrgangsstufen 5 oder 6).
Seif Arsalan (Pseudonym) erzählt die Geschichte seiner Flucht aus Syrien über die Türkei, Griechenland, Österreich und weiter nach Deutschland, wo er nun lebt und seine schulische Bildung an einem baden-württembergischen Gymnasium auf dem Weg zum Abitur fortführt.
Dieser Blogbeitrag geht über das Thema Geschichtsunterricht hinaus. Seif Arsalan aus Syrien berichtet im Interview mit Geschichte 21 über sein Buch mit seiner (Flucht-)Geschichte, seine schulischen Erfahrungen in Syrien und Deutschland und wagt einen Ausblick in die Zukunft.
Interview mit Seif Arsalan
Zum Buch Aus Syrien geflüchtet
Geschichte 21: Kommen wir zunächst einmal auf dein Buch Aus Syrien geflüchtet zu sprechen. Könntest du unseren Leserinnen und Lesern erläutern, was dich motiviert hat, dieses Buch zu schreiben?
Seif Arsalan: Mich hat vor allem motiviert, dass ich mit dem Buch eine Botschaft vermitteln könnte. Ich wollte um Verständnis für die „Flüchtlinge“ (Ich mag dieses Wort nicht!) werben. Ich wollte einfach zeigen, dass es für uns schwierig ist, in einem neuen Land, in einer völlig anderen Kultur mit einer neuen Sprache anzukommen. Alles war neu für uns. Ich wollte auch zeigen, dass es am Anfang schwierig für uns war und dass wir ein wenig Zeit brauchen, um uns in einer neuen Gesellschaft zu integrieren.

Geschichte 21: Du hast auch Lesungen gehalten. Hast du Kommentare und Rückmeldungen zu deinem Buch bekommen?
Seif Arsalan: Ich bekomme fast jede Woche E-Mails von Leuten, die das Buch gelesen haben, oft auch von Lehrerinnen bzw. Lehrern, die das Buch mit ihren Schülerinnen und Schülern gelesen haben. Sie schreiben mir, dass mein Buch sie berührt hat. Sie fragen, wie es meiner Familie geht und stellen mir auch Fragen darüber, wie es weitergegangen ist. Drei Schülerinnen haben mir z.B. auch eine E-Mail geschrieben und viele Fragen gestellt. Sie haben eine Präsentation über mein Buch für ihren Schulabschluss gemacht.
Meine erste Lesung war in Winterbach, wo ich gerade wohne. Viele Zuhörer hat meine Geschichte berührt. Ich denke, meine Botschaft ist bei ihnen angekommen.
Geschichte 21: Inwiefern hat dir das Schreiben des Buches dabei geholfen, die deutsche Sprache besser zu lernen?
Seif Arsalan: Mit dem Schreiben habe ich meine Deutschkenntnisse sehr verbessert. Wenn man in einen Sprachkurs geht, dann muss man viele Kompetenzen entwickeln: Hören, Lesen, Schreiben und Sprechen. Beim Schreiben war ich sehr gut. Ich hatte immer die volle Punktzahl. Beim Schreiben hat mir auch meine „deutsche Oma“ geholfen, mit der ich das Buch geschrieben habe. Das Schreiben hat mir unglaublich geholfen. Ich konnte viele Sprichwörter lernen, viele Begriffe und dadurch meinen Wortschatz erweitern.
Wichtig für mich war aber vor allem der Kontakt zu Deutschen. Ich habe einige ältere mütterliche Freundinnen. Mit ihnen habe ich mich fast jeden Tag getroffen und wir haben viel miteinander gesprochen. Der Kontakt zu den Deutschen hat mir den Zugang zu der Sprache erleichtert. Wenn man in der Schule ist und die Sprache lernt, dann praktiziert man sie kaum. Man lernt nur die Theorie, die Grammatik, z.B. den Satzbau. Man muss aber üben und sprechen. Das erfordert Kontakt zu Deutschsprachigen.
Geschichte 21: Du hast das Buch in einem Verlag veröffentlichen lassen. Was denkst du über Veröffentlichungen im Internet? Könntest du dir vorstellen, auch im Internet zu publizieren, z.B. einen Blog zu betreiben?
Seif Arsalan: Im Internet einen Blog zu betreiben, kann ich mir im Moment nicht vorstellen. Da ich auf dem Gymnasium bin, werde ich im nächsten oder übernächsten Jahr mein Abitur machen. Ich bin daher ständig unter Zeitdruck. Da ich kein Muttersprachler bin, kostet mich das Lernen mehr Zeit als meinen deutschen Mitschülerinnen und Mitschülern. Daher kann ich es mir zzt. nicht vorstellen, regelmäßig in einem Blog zu veröffentlichen.
Geschichte 21: Ist dein Buch auch an deiner Schule gelesen worden?
Seif Arsalan: Ab der 11. Klasse ist es nicht Thema. Dafür ist die Sprache auch zu leicht. Wir lesen gerade Faust. Bald aber habe ich eine Lesung an meiner Schule.
Schule und (Geschichts-)Unterricht in Syrien und Deutschland
Ohne Geschichte keine Zukunft!“

Geschichte 21: Wenn du in deinem Buch über Schule schreibst, dann thematisierst du vor allem die häufigen Schulwechsel in Syrien, deine schulischen Erfolge trotz (oder wegen) der vielen Wechsel und die Beziehung zu deinem Vater, von dem du dir immer erhofft hast, dass er deine Erfolge würdigte. Lass uns ein wenig über deine schulischen Erfahrungen in Syrien sprechen. Für uns Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer, die diesen Blog lesen, ist es sicher interessant zu erfahren, ob an Schulen in Syrien auch Geschichte unterrichtet wird. Und, wenn ja, an welche Themen kannst du dich erinnern?
Seif Arsalan: In Syrien gibt es generell drei gesellschaftswissenschaftliche Bereiche, die in einem Fach unterrichtet werden: 1. Politik; 2. Geographie; 3. Geschichte. Im Bereich Geschichte lernen wir dann die Geschichte anderer Länder kennen. In der 5. Klasse z.B. haben wir die Geschichte Europas kennen gelernt, dann im kommenden Jahrgang von Asien und danach von weiteren Staaten. Wir besprechen dabei, wie alles zustande gekommen ist.
Beim Vergleich des Unterrichts in Syrien und in Deutschland ist mir generell aufgefallen, dass man in Deutschland auch Themen der Zeitgeschichte und der Gegenwart bearbeiten kann. In Syrien dauert es immer ein bisschen, bis neue Themen unterrichtet werden. Wir bearbeiten im Unterricht an unserer deutschen Schule z.B. auch Themen wie Industrie 4.0, Automatisierung, z.B. autonomes Fahren, und Entwicklungsländer.
Geschichte 21: Sollte der deutsche Geschichtsunterricht deiner Auffassung nach auf die Situation reagieren, dass in den Lerngruppen Schülerinnen und Schüler aus Familien aus unterschiedlichen Herkunftsländern sitzen?
Seif Arsalan: Geschichte ist sehr wichtig. Wie sagt man? „Ohne Geschichte keine Zukunft!“ Wenn wir in Deutschland lernen, dann würde ich als erstes etwas über die deutsche Geschichte lernen wollen, damit ich die heutige Situation in Deutschland verstehen kann. Dann würde ich aber auch die Geschichte anderer Staaten integrieren, vielleicht auch die Geschichte einiger Herkunftsländer.
Geschichte 21: Abgesehen vom Geschichts- oder Politikunterricht, was fällt dir besonders auf, wenn du Schulen in Syrien und Deutschland miteinander vergleichst?
Seif Arsalan: Allgemein gesagt, finde ich, dass das deutsche Schulsystem besser ist als das syrische Schulsystem. In syrischen Schulen gibt es z.B. Labore, aber wir konnten – etwa in Chemie oder Physik – sie nie benutzen. Der Unterricht in Syrien ist auch anders. Man arbeitet nicht in Gruppen so wie an meiner Schule in Deutschland, wenn wir Themen gemeinsam bearbeiten.
Ein Unterschied ist auch, dass man hier die Fächer auswählen kann, die man im Abitur haben möchte. In Syrien gibt es nur die Möglichkeit, entweder einen wissenschaftlichen Abschluss zu machen oder einen Abschluss, der weniger wissenschaftlich ausgerichtet ist.
Geschichte 21: Was hat dir besonders geholfen, an deiner neuen deutschen Schule zurecht zu kommen?
Seif Arsalan: Am meisten dabei geholfen hat mir, dass meine Lehrerinnen und Lehrer Verständnis dafür hatten, dass ich erst seit zweieinhalb Jahren in Deutschland lebe und die Sprache daher noch nicht hundertprozentig beherrsche. Beim Erlernen der Sprache haben sie mir sehr geholfen, auch meine Mitschülerinnen und Mitschüler.
Geschichte 21: Was könnte deiner Meinung nach die Integration geflüchteter Kinder und Jugendlicher in deutsche Schulen weiter erleichtern?
Seif Arsalan: Man sollte auf jeden Fall gewisse Sprachkenntnisse haben, ansonsten wird es sehr schwer. Man kann sich nicht verständigen, man kann nicht verstehen, was die Lehrkraft sagt. Daher würde ich raten, vor allem die deutsche Sprache zu fördern und dazu auch eine Patin oder einen Paten zu haben. Wenn man einen ersten Ansprechpartner oder eine erste Ansprechpartnerin hat, kann man Fragen stellen. Meiner Meinung nach würde es einem dann leichter fallen, sich in einer neuen Schule zurecht zu finden.
Zur Zukunft und zur Möglichkeit von Frieden
Man muss zuerst den Sinn des Zusammenlebens verstehen!“
Geschichte 21: Für den ersten Blogbeitrag auf „Geschichte 21“ habe ich einen kurzen Abschnitt aus einem Gespräch des Dalai Lama (geboren 1935), Friedensnobelpreisträger und Oberhaupt der Buddhisten, mit dem Christen Franz Alt aus dem Jahre 2015 zitiert:
Ich glaube, dass wir beide, lieber Freund, also die Generation des 20. Jahrhunderts, jede Menge Probleme geschaffen haben. Jetzt muss die Generation des 21. Jahrhunderts diese Probleme lösen. Auf friedliche Weise, im Dialog. Die junge Generation ist also sehr wichtig. Die Vergangenheit ist vergangen. Das 21. Jahrhundert ist erst 15 Jahre alt, die restlichen 85 Jahre liegen noch vor uns. Es gibt viele Möglichkeiten, die Welt zu verbessern, ein Umdenken zu bewirken: auf Familienebene, Gemeindeebene, nationaler Ebene sowie internationaler, globaler Ebene. Ich denke, dass wir dies hauptsächlich durch Bildung erreichen können. Gewalt ist eine Methode von gestern. […] Lehrer und Eltern spielen hier eine wichtige Rolle.“ [2]
Du gehörst mit dem Geburtsjahr 1997 zur „Generation 21“, die der Dalai Lama anspricht. Was hältst du von seiner Aussage zur Bildung? Welche Bedeutung sprichst du Bildung zu?
Seif Arsalan: Bildung ist der Kern einer Gesellschaft. Wir haben gesehen, dass Bildung eine Gesellschaft revolutionieren kann. Ohne Bildung kann man eine Gesellschaft nicht aufbauen. Von daher ist Bildung auch sehr wichtig für den einzelnen Menschen in einer Gesellschaft.
Für mich als Geflüchteter aus Syrien ist Bildung besonders wichtig. Denn wenn ich mit der Schule oder dem Studium fertig bin, habe ich vor, Syrien wieder mit aufzubauen. Ohne Bildung könnte ich mein Ziel nicht erreichen.
Das Problem in Syrien ist, dass viele Kinder in Syrien zzt. nicht in die Schule können. Eine komplette Generation kann vielleicht nicht gut genug schreiben oder lesen. Das wird ein großes Problem für die syrische Gesellschaft sein.
Geschichte 21: In deinem Buch wird deutlich gezeigt, dass Bildung in Syrien früher eine große Rolle spielte. Viele Eltern etwa kümmern sich sehr darum, dass ihre Kinder vor den Abschlussprüfungen Ruhe zum Lernen haben.
Seif Arsalan: Bildung spielt grundsätzlich noch immer eine große Rolle. Meiner Mutter war es z.B. früher immer wichtig, dass ich zur Schule ginge. Wäre es ihr nicht wichtig gewesen, wären wir z.B. in Duma geblieben. Da ihr Bildung aber sehr wichtig war, sind wir extra wegen meiner Bildung in eine andere Stadt geflüchtet, z.B. nach Damaskus, damit ich meine Bildung fortsetzen konnte.
Geschichte 21: Welche Rolle spielt der Umgang mit Geschichte für die Zukunft?
Seif Arsalan: Es ist z.B. wichtig zu erkennen, warum Syrien, der Irak oder andere arabische Staaten die Grenzen haben, die sie heute haben. Diese Frage kann man nur durch das Studium der Geschichte besser beantworten. Man kann daraus lernen, um in einer neuen Welt in Frieden leben zu können und Konflikte zu vermeiden.
Geschichte 21: Auch an anderer Stelle spricht der Dalai Lama über deine Generation, die „Generation des 21. Jahrhunderts“, gibt ihr Mut und Zuversicht, setzt große Hoffnungen in sie und zeigt sich optimistisch, „dass das 21. Jahrhundert ein friedliches und harmonisches Jahrhundert wird“. – Deiner Meinung nach: Was ist der Schlüssel für ein „friedliches und harmonisches Jahrhundert“? [3]
Seif Arsalan: Man muss zuerst den Sinn des Zusammenlebens verstehen. Konkret auf Syrien bezogen, bedarf es einer internationalen Lösung, denn viele große Mächte haben sich eingemischt. Ich bin generell optimistisch, was den Frieden in Syrien im 21. Jahrhundert betrifft. Aber, wenn andere große Mächte gierig sind und nur ihre eigenen Interessen verfolgen, dann wird in der Welt nie Frieden herrschen.
Grundsätzlich darf man stolz darauf sein, Deutscher zu sein, Syrer zu sein, Amerikaner etc. zu sein. Aber man soll nicht denken, dass man besser ist. Wenn man aber den Sinn des Zusammenlebens versteht, dass die Nationalität nicht wichtig ist, sondern der Mensch an sich, dann funktioniert es auch. Dann lässt man die Nationalität beiseite und versucht alles Mögliche, um zusammenleben zu können.

Geschichte 21: Kommen wir zu den letzten zwei Fragen. Auf dem Cover deines Buches lässt ein junger Mann auf seinem Weg einen Teddybären als Symbol für seine Kindheit auf dem Weg liegen und trägt einen Koffer. Nehmen wir den Koffer auch einmal als Bild für das Gepäck, das für das weitere Leben wichtig ist. Welche „Dinge“ sind in deinem Koffer, auf die du in deinem Leben nicht verzichten magst? Was nimmst du mit auf deine Reise?
Seif Arsalan: Als ich Syrien verlassen habe, musste ich alles zurücklassen, alles, alles. Ich konnte kaum etwas mitnehmen, aber nicht-materielle Dinge wie z.B. Bildung und Familiensinn konnte ich mitnehmen.
Geschichte 21: Wohin wird deine Reise gehen?
Seif Arsalan: Ich möchte die Schule beenden und studieren. Ich habe das Ziel, Syrien – von Deutschland aus – wieder mit aufzubauen.
Geschichte 21: Vielen Dank für das Gespräch!
Seif Arsalan: Danke ebenso für das Interview!
Zum Weiterlesen
Buchrezension zu Aus Syrien geflüchtet auf Die VOR-Leser vom 03. März 2018 von Maximilian4
Bildnachweise
Nach der Reihenfolge des Erscheinens:
- „Aus Syrien geflüchtet von Seif Arsalan, am Strand des Dilek-Nationalparks, Türkei“ © Utz Klöppelt | Geschichte 21, Türkei, März 2018.
- „Blick auf Samos vom Strand des Dilek-Nationalparks, Türkei“ © Utz Klöppelt | Geschichte 21, Türkei, März 2018.
- „Cover von Aus Syrien geflüchtet (Seif Arsalan und Annette Weber)“ © Titelbildmotiv von Ivo Breidenbach, photographiert von Utz Klöppelt, Juli 2018.
- Porträt Autor © Utz Klöppelt.
Fußnoten
[1] „Informationen zur Reihe“, Verlag an der Ruhr, URL: http://www.verlagruhr.de/gefluechtet.html (Stand: 15.07.2018).
[2] Dalai Lama mit Franz Alt. Der Appell des Dalai Lama an die Welt. Mit Franz Alt. Ethik ist wichtiger als Religion, Wals (bei Salzburg): Benevento Publishing; 2015, zitiert aus der E-Book-Ausgabe, Kapitel „Ethik ist wichtiger als Religion“.
[3] Claudia Rinke. Kinder sprechen mit dem Dalai Lama. Wie wir eine bessere Welt erschaffen, mit einem Nachwort von Felix Finkbeiner, illustriert von Jens Bonnke, München: C.H. Beck; 2016 / Kindle E-Book (2016): zitiert aus dem E-Book, unpaginiert.
Schreibe einen Kommentar