Stelle dir folgendes Szenario vor: Du hast dir für deinen Geschichtsunterricht das Rednerpult aus eurer Aula in deinen Klassenraum stellen lassen oder es selbst dorthin geschleppt.
Es ist flankiert von Topfpflanzen, die du mit einem Kollegen aus der Pausenhalle geholt und links und rechts neben dem Rednerpult platziert hast.
Auf dem Pult steht ein Glas Wasser für die Rednerin oder den Redner, d. h. eine Schülerin oder einen Schüler bereit. Wozu diese angedeutete theatralische Bühne mit diesen „props“? Mehr dazu gleich!
In der für die neue Folge deines Podcast | Geschichte 21 zusammengefassten „Mini-Staffel“ – bestehend aus zwei Ausgaben deines Flugblatts | Geschichte 21 – geht es um historische Reden bzw. um imaginierte Reden – u. a. zur Förderung der Urteilskompetenz deiner Schülerinnen und Schüler – in zwei Teilen:
- Im ersten Teil der Podcastfolge bzw. diesem Beitrag gebe ich dir einen Überblick zu Einsatzmöglichkeiten historischer Reden und skizziere dir deren didaktisches Potenzial.
- Im zweiten Teil gebe ich dir zur Vertiefung ein konkretes unterrichtliches Beispiel.
(Selbst verfasste) Historische Reden im Geschichtsunterricht
Folgende Einsatzmöglichkeiten sind – neben vielen anderen – denkbar, wenn es darum geht, „historische“ Reden bzw. besser gesagt imaginierte „historische“ Reden zu schreiben:
- Laudatio: Deine Schülerinnen und Schüler verfassen auf der Basis von Grundkenntnissen zur Gattung Rede eine historisch mögliche Rede zu einer Preisverleihung, z.B. eine Rede zur Verleihung des Friedensnobelpreises an Gustav Stresemann und Aristide Briand. Hier ist selbstverständlich ein Vergleich mit der tatsächlichen Laudatio möglich. Als Nutzerin oder Nutzer der Akademie | Geschichte 21 findest du hierzu auch weitere konkrete Anregungen im Flugblatt-Archiv.
- „Imaginierte Laudatio“: Du kennst sicher den „Alternativen Nobelpreis“: Lass deine Lerngruppe doch auch einen „alternativen Nobelpreis“ vergeben und aushandeln, welche historische Peron oder auch Institution oder Gruppe diesen fiktiven historischen Preis erhalten sollte – und lass dazu wieder eine Laudatio schreiben – bspw. nach dem Muster: „Was wäre gewesen, wenn es in der Weimarer Republik einen Preis für demokratisches Engagement gegeben hätte? – Wer hätte den Preis erhalten?“ Denkbar wäre dies etwa auch als Abschluss einer Unterrichtssequenz zu Biographien von Parlamentarierinnen: Welche der Parlamentarierinnen hätte den Preis erhalten? Welche Inhalte müssten für eine Laudatio aufgegriffen werden? Tipps zur Thematisierung der ersten Parlamentarierinnen Deutschlands gebe ich dir in der Podcastfolge Parlamentarierinnen der Weimarer Republik.
- Geschichts- bzw. Erinnerungskultur: Deine Schülerinnen und Schüler schreiben eine Rede zur Einweihung eines historischen Denkmals, zu einem Jahrestag an einem bestimmten historischen Ort etc. – bestenfalls selbstverständlich nicht als „Trockenübung“, sondern zu einem konkreten, realen Anlass, falls möglich, z.B. zur Verlegung eines neuen Stolpersteins in eurem Schulort, der Errichtung eines Denkmals auf eurem Schulgelände etc.
Diese Liste ließe sich selbstverständlich erweitern! Wenn du weitere Vorschläge hast, nutze sehr gerne die Kommentarfunktion am Ende dieser Seite, um sie mit deinen Kolleginnen und Kollegen zu teilen!
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Didaktisches Potenzial historischer Reden
Welches didaktische Potenzial steckt aber in all den obig skizzierten Anwendungsmöglichkeiten? Vor allem wohl, dass deine Schülerinnen und Schüler ihre Urteilskompetenz schärfen. Denn sie müssen entweder aus einer historischen Perspektive und Situation heraus Handlungen historischer Akteurinnen und Akteure bewerten – wie bei dem Beispiel Laudatio zum Friedensnobelpreis an Briand und Stresemann – oder aber unter Rückgriff auf eigene Wertmaßstäbe Personen und ihre Taten bzw. historische Ereignisse einer Bewertung zuführen.
Denkbar sind die drei oben vorgestellten Situationen jeweils als Abschluss einer Unterrichtssequenz, wobei noch wichtig ist zu betonen, dass die Ergebnisse – selbstverständlich – jeweils ausgewertet werden sollten.
Lass mich nun ein konkretes Beispiel dazu geben!
Historische Urteilsbildung | Friedensnobelpreis an Briand und Stresemann
Dazu greife ich den Hinweis auf, den ich dir vorhin im ersten Teil dieser Folge gegeben habe: In einer Unterrichtsreihe zur Außenpolitik des Deutschen Reiches der Weimarer Republik habt ihr die Politik Stresemanns und Briands thematisiert.
Zum Abschluss der Sequenz nimmst du nun die Verleihung des Friedensnobelpreises an die beiden zum Anlass für eine Laudatio: deine Schülerinnen und Schüler sollen eine Rede zur Preisverleihung an die beiden verfassen.
Folgendes wäre dabei zu berücksichtigen:
- Du musst sicher stellen, dass deinen Schülerinnen und Schülern die historische Laudatio von Fritjof Nansen, die Award Ceremony Speech (1926), nicht zur Verfügung steht, mit anderen Worten: deine Lerngruppe schreibt die Rede in einer Einzel- oder Doppelstunde. Im letzteren Fall können sie die Rede gleich im zweiten Teil der Doppelstunde vortragen.
- Sachkenntnis muss vorhanden sein: Du hast die nötigen Voraussetzungen für die historische Urteilsbildung gelegt, sprich: deine Schülerinnen und Schüler haben ausreichend Kenntnisse zur Außenpolitik Briands und Stresemanns erworben.
- Eine weitere Voraussetzung für diese Aufgabe sind Kriterien: Ihr legt sie für die Rede fest (u.a. Kriterien der Gattung „Laudatio“, Integration von sachlichen Bezügen auf die Außenpolitik, Verweise auf vorherige historische Rivalität Frankreichs und Deutschlands).
- Welche Sozialform ist sinnvoll? Meines Erachtens sollte die Rede zunächst in Einzelarbeit verfasst werden, denn angesichts der Komplexität bremst bereits eine Partnerarbeit bzw. eine Gruppenarbeit ohnehin den Schreibprozess, da sich die Schülerinnen und Schüler jeweils auf Formulierungen einigen müssen. In einer anschließenden Partner- oder Gruppenarbeit wird die überzeugendste Rede ausgewählt und ggf. gemeinsam optimiert.
- Präsentation: Hier kommt nun die kleine Bühne vorne mit dem Rednerpult zum Tragen. Es wird deine Schülerinnen und Schüler motivieren, ihre Rede in diesem angedeuteten feierlichen Rahmen vorzutragen. Vergiss nicht das Glas Wasser auf dem Rednerinnen- bzw. Rednerpult!
- Strukturierte Auswertung: In einem letzten Schritt findet eine abschließende Urteilsbildung statt. Wichtig dabei ist zu betonen, dass die Rede selbst noch keine eigenes Werturteil mit sich bringt. Denn die Schülerinnen und Schüler bewerten die Außenpolitik Briands und Stresemanns aus einer ihnen vorgegebenen zeitgenössischen Perspektive heraus. Dabei ist die positive Bewertung durch die Gattung „Laudatio“ vorgegeben. Deine Schülerinnen und Schüler vollziehen also in einem historischen Szenario mögliche Denkmuster der Zeit nach. Sie selbst urteilen von ihrer eigenen Warte aus erst danach: a) Sie beurteilen bspw. die Plausibilität und Triftigkeit der in der Rede vorgetragenen Argumente für die Verleihung des Friedensnobelpreises; b) abschließend bewerten sie die Verleihung des Preises selbst: Inwiefern war er angemessen? Hier können sie dann ggf. auch Kritik an der Außenpolitik der beiden Staaten bzw. Politiker äußern.
- Last, but not least – Vergleich: Vergleicht die imaginierten Reden mit der tatsächlich gehaltenen Laudatio! Durch die Ermittlung von Unterschieden, ggf. Ähnlichem wird deinen Schülerinnen und Schülern bewusst, welche Wertmaßstäbe in der Zeit angelegt wurden und inwiefern sie sich von den vermuteten unterscheiden.
Was sind deine Fragen, Anregungen, Kommentare? Lass es mich wie gewohnt sehr gerne auf der Seite zu dieser Podcastfolge wissen! Wenn dir dieser Beitrag gefallen hat, teile ihn sehr gerne auch auf Social Media!
Shownotes | Links
- Fridtjof Nansen (1926). Award Ceremony Speech. The Nobel Peace Prize 1926. Aristide Briand. Gustav Stresemann, auf: The Nobel Prize, URL: https://www.nobelprize.org/prizes/peace/1926/ceremony-speech/ (Zuletzt aufgerufen: 14.5.2024).
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Autor: Utz Klöppelt
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Bildnachweise
- Beitragsbild: Podcastcover © Utz Klöppelt – Akademie | Geschichte 21.
- Porträt Utz Klöppelt © Utz Klöppelt – Akademie | Geschichte 21.
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