Wie kannst du Flucht, Vertreibung und Asyl in unserem Geschichtsunterricht zum Thema machen? Dass Jüdinnen und Juden durch das nationalsozialistische Deutschland diskriminiert, entrechtet, verfolgt und ermordet wurden, ist bekannt.
Wie aber steht es um das Wissen um die Möglichkeiten für Jüdinnen und Juden, das Deutsche Reich überhaupt verlassen zu können und um Asyl zu suchen? Viele waren ausreisewillig. Das Deutsche Reich sowie das europäische und weltweite Ausland legten ihnen jedoch allzu häufig Steine in den Weg.
Vertreibung, Flucht und Suche um Asyl von Jüdinnen und Juden
Du kennst vielleicht Immanuel Kants Schrift Zum ewigen Frieden aus anderen Zusammenhängen. Nicht wenig überraschend macht er auch das sogenannte „Besuchsrecht“ zur Bedingung des Friedens in der Welt:
[Es steht allen Menschen zu,] sich zur Gesellschaft anzubieten, vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als Kugelfläche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch neben einander dulden zu müssen, ursprünglich aber niemand an einem Orte der Erde zu sein, mehr Recht hat als der Andere.“
Kant 1796: Position 39066
Das „Besuchsrecht“ mag sich zwar vom „Asylrecht“ unterscheiden, doch die Begründung für das Recht, in anderen Gegenden der Welt nach Vertreibung oder bei anderer drohender Gefahr, Asyl zu suchen, dürfte – nebst anderen Argumenten – ähnlich ausfallen.
Im Zusammenhang mit der Diskriminierung, Entrechtung und Verfolgung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland (vgl. dazu und zu Quellen dafür auch meinen Artikel Die Quellen sprechen im Geschichtsunterricht) solltest du in deinem Unterricht vor allem die Internationale Flüchtlingskonferenz von Évian (1938) thematisieren. Auf der Südseite des Genfer Sees gelang es den Vertreterinnen und Vertretern vieler Staaten der Welt nicht, sich darauf zu einigen, jüdische Flüchtlinge ohne Weiteres in ihren Ländern aufzunehmen.
Mit der Online-Ausstellung Geschlossene Grenzen arbeiten
Die Online-Ausstellung Geschlossene Grenzen. Die Internationale Flüchtlingskonferenz von Évian 1938 vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Hochschule Berlin in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand bietet eine Vielzahl an Materialien, die es für deinen Geschichtsunterricht zu erschließen und zu verwenden gilt.
Da auf der Startseite nicht alle Rubriken bzw. Themenabschnitte versammelt sind, gebe ich dir hier einen umfassenden Überblick mit den dazu gehörigen Links gleich nach den „bullet points“:
- Deutschland verlassen – aber wohin? Mit zunehmendem politischen, sozialen und wirtschaftlichen Druck auf Jüdinnen und Juden im nationalsozialistischen Deutschland nimmt der Ausreisewille zu. Insgesamt neun Quellen verdeutlichen bspw. diesen Druck, darunter einzelne biographische Skizzen sowie Reisehandbücher.
- Vorbereitungen auf die Konferenz und Erwartungen: Viele Staaten Lateinamerikas folgen der Einladung der USA zur Konferenz, weitere Staaten in Nord- und Westeuropa nur zögerlich. Jüdinnen und Juden versprechen sich von der Konferenz selbstverständlich eine Erleichterung der Einwanderung. Insgesamt neun Quellen dokumentieren die Einladung zur Konferenz, Aspekte der Vorbereitungen, einen Dank Albert Einsteins sowie ein „Flüchtlingsdrama“ im Vorfeld der Konferenz.
- Der Tagungsort Évian-les-Bains: Warum tagten die Delegierten der teilnehmenden Staaten am französischen Südufer des Genfer Sees? Auf dieser Seite bieten ein Darstellungstext und insgesamt zwölf Quellen Informationen über den beliebten Badeort Évian-les-Bains. Doch nicht nur die touristische Infrastruktur war ausschlaggebend für die Wahl des Ortes: Die Schweiz schlug den Vorschlag aus, das Zusammentreffen am Sitz des Völkerbundes in Genf stattfinden zu lassen.
- Zehn Tage im Juli: Hinter insgesamt 20 Kalenderblättern (zwei zu jedem Konferenztag) finden deine Schülerinnen und Schüler Informationen jeweils zu den Konferenzereignissen sowie internationalen Ereignissen, die in thematischem Zusammenhang mit der Problematik von Diskriminierung, Flucht und Vertreibung stehen.
- Im Visier von SD und Gestapo: Das Deutsche Reich nahm nicht an der Konferenz teil. Warum aber schickten der Sicherheitsdienst der SS (SD) sowie der NS-Reichsstatthalter in Wien Vertreter deutscher und österreichischer Jüdinnen und Juden auf die Konferenz, die danach Bericht erstatten mussten? Antwort geben ein Darstellungstext sowie elf Quellen.
- Reaktionen auf den Novemberterror der Reichspogromnacht: Nach der Konferenz im Juli sowie nach den die Weltöffentlichkeit schockierenden Ereignissen des 9./10. November 1938 im Deutschen Reich waren viele Staaten bestrebt, Jüdinnen und Juden aufzunehmen. Acht Quellen verdeutlichen internationale Reaktionen auf die Reichspogromnacht. Vier Videos mit Erinnerungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zeigen die Geschichte der darauf folgenden Transporte von Kindern aus jüdischen Familien ins Ausland.
- Export von Menschen und Waren: Wie auswandern, wenn das Deutsche Reich viele Vermögenswerte eingezogen, Jüdinnen und Juden beraubt und enteignet hatte? Auf dieser Seite wird durch insgesamt elf Quellen die Geschichte von Gesprächen zur Erleichterung des Transfers jüdischer Vermögen ins Ausland rekonstruierbar.
- Flüchtlingsdrama auf dem Atlantik: Geschichten zu Migrations- und Fluchtrouten auf der Suche nach Asyl gibt es viele. Mit Hilfe der Darstellung und der Quellen auf dieser Seite können deine Schülerinnen und Schüler eine dieser Geschichten rekonstruieren, erzählen und darstellen.

Sichere dir jetzt deinen Zugang!
Erhalte für nur 1,- EUR für die ersten 14 Tage Zugang zu dem Online-Portal für uns Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer für noch besseren Geschichtsunterricht!
Einsatzmöglichkeiten im Unterricht
„[…] Honorable Pres[.] Roosevelt […] The people of the UnitedStates [sic] are waiting and hoping that some head of a government in the Americas will open their door to those who have suffered such trials and tribulations[.] They have vowed to commit suicide rather than go back to Hitlers [sic] dungeons. In the name of humanity open the land of liberty to the 717 Jews stranded on the SS St[.] Louis […]. East Side workers.“
New Yorker East Side workers 1939
Dieses Telegramm kann als humanistischer und engagierter Einsatz der Arbeiter der New Yorker East Side gelesen werden. Sie setzten sich für Landung und Asyl für die 717 Jüdinnen und Juden ein, die sich noch an Bord der SS St. Louis befanden („SS“ steht selbstverständlich nicht für „Schutzstaffel“, sondern für „Sailing Ship“ bzw. „Steamship“).
Kapitän Gustav Schröder (NSDAP-Mitglied) hatte mit „seinem“ Dampfer den Hamburger Hafen im Frühsommer 1939 mit 930 jüdischen Flüchtlingen Richtung Kuba verlassen. Dort durften aufgrund innenpolitischer Zwistigkeiten um die Asyl-Frage die meisten Passagiere das Schiff jedoch nicht verlassen. Auch in den USA durften sie nicht an Land gehen, so dass sich die New Yorker Arbeiter bei ihrem Präsidenten für sie einsetzten (sh. Telegramm oben).
Um die Geschichte kurz zu machen: Letztlich wurden die Flüchtlinge nach langer Seereise in England, Frankreich, Belgien und den Niederlanden aufgenommen – auch nach einigem Druck seitens des Kapitäns.
Meine Anregung besteht darin, das obig skizzierte „Flüchtlingsdrama auf dem Atlantik“ mit deinen Schülerinnen und Schülern zu thematisieren. Es steht exemplarisch für die Not jüdischer Flüchtlinge, die der Diskriminierung, Entrechtung, Verfolgung und Ermordung durch das nationalsozialistische Deutschland entgehen wollten, wenngleich dies Jüdinnen und Juden in den meisten Fällen nicht (mehr) gelang:
- Nutze die in der Ausstellung Geschlossene Grenzen bereitgestellten Materialien bzw. Quellen. Sie sind mehrheitlich in der englischen Sprache verfasst, so dass sie sich gut für den bilingualen Geschichtsunterricht eignen, in jedem Falle aber auch z.T. eines kleinen „language support“ bedürfen.
- Deine Schülerinnen und Schüler können mittels der ihnen (digital) vorgelegten Quellen zum „Flüchtlingsdrama auf dem Atlantik“ ihre Rekonstruktionskompetenz erweitern, indem sie sie interpretieren und in eine Narration münden lassen. Das Lernprodukt zur Präsentation könnte dafür frei gewählt werden. Aufgrund der geographischen Dimensionen bietet es sich jedoch an, eine kartographische Darstellung erstellen zu lassen, z. B. mittels eines „Padlets“. In meinem Beitrag Geschichtsunterricht mit Padlet zu nützlichen Padlet-Gattungen für unser Fach Geschichte gebe ich dir Anregungen dazu.
- Die didaktische Zielperspektive? Selbstverständlich bleibt es nicht bei der narrativen Darstellung. Eine einzige Geschichtsstunde zum Thema Flucht und Asyl wird auch nicht ausreichen. Am Ende aber sollte m. E. zumindest immer stehen, dass die Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, Handlungsoptionen der jeweiligen Akteurinnen und Akteure zu ermitteln und politische Entscheidungen potenzieller Aufnahmestaaten und deren Konsequenzen kritisch zu bewerten.
Hast du bereits mit dieser Thematik gearbeitet? Mit anderen Materialien oder didaktischen Zuschnitten? Solltest du zum Thema Flucht und Vertreibung mit anderen Inhaltsbereichen arbeiten wollen, empfehle ich dir auch das Archiv der Flucht.
Arbeitsblatt-Set zum Download für deinen Geschichtsunterricht

Wenn du zum „Flüchtlingsdrama auf dem Atlantik“ und der Online-Ausstellung Geschlossene Grenzen zur internationalen Flüchtlingskonferenz von Évian in deinem Fach Geschichte arbeiten möchtest, sichere dir das Arbeitsblatt-Set mit einer „Lernlinie“ zum Thema – „ready to teach“, wenn du so willst oder einfach zum Modifizieren für die Bedürfnisse deiner Lerngruppe.
Ich stelle es dir im Kursmodul meiner Akademie | Geschichte 21 mit dem „Steckbrief“ zur Online-Ausstellung Geschlossene Grenzen zum Download und Einsatz in deinem Geschichtsunterricht zur Verfügung – nebst allen weiteren Inhalten und Funktionen der Akademie | Geschichte 21, des beliebten Online-Portals für innovativen Geschichtsunterricht.
Wenn dir diese Anregungen gefallen haben, sichere dir den Zugang zum dazu gehörigen Kursmodul inklusive Zugang zu allen anderen Inhalten, Kursen und Funktionen meiner Akademie | Geschichte 21 dem Online-Fortbildungsportal für unser Fach Geschichte.

Sichere dir jetzt deinen Zugang!
Erhalte für nur 1,- EUR für die ersten 14 Tage Zugang zu dem Online-Portal für uns Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer für noch besseren Geschichtsunterricht!

Autor: Utz Klöppelt
Hier schreibt dein Kollege – mit mehr als 15 Jahren Erfahrung in Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik, Gründer von Geschichte 21.
Ich helfe Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrern dabei, ihren Geschichtsunterricht noch besser zu machen!
Auf meinem Blog Geschichte 21 und in meinem Flugblatt | Geschichte 21, dem Newsletter für die 5-Minuten-Tipps für dein Fach Geschichte, erhältst du mindestens zwei Mal pro Woche Anregungen und Hinweise für deinen Unterricht!
Mein geballtes Wissen und meine gesamte Expertise stelle ich dir in meinen beliebten Fortbildungen, Kursen, Workshops, einem plattform-internen Podcast und Webinaraufzeichnungen in meiner Akademie | Geschichte 21, dem Online-Portal für den Geschichtsunterricht, zur Verfügung! Du kannst die Themen deiner Wahl dort auf Abruf vertiefen!
Dort findest du auch Unterrichtsmaterial zum Download für deinen Geschichtsunterricht.
Abseits von Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht findest du mich u. a. beim Sport (Rudern, Stand-up-Paddling und Basketball) sowie beim Lesen von vorwiegend amerikanischer Literatur!
Bildnachweise
- Beitragsbild © raclro, Getty Images Signature via Canva Pro; Collage von Utz Klöppelt, Geschichte 21.
- Cover zu Arbeitsblatt-Set zu Geschlossen Grenzen © raclro, Getty Images Signature via Canva Pro; Collage von Utz Klöppelt, Geschichte 21.
Literaturhinweise
- Immanuel Kant (1796). „Dritter Definitivartikel zum ewigen Frieden“, in: ders. (1796). Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Frankfurt und Leipzig, zit. aus: ders. Gesammelte Werke (Kindle eBook).
Schreibe einen Kommentar