Wie können wir den Krieg in der Ukraine in der Schule und unserem Geschichtsunterricht thematisieren? Anlässlich des Krieges in der Ukraine findest du hier Anregungen und Hinweise zum Umgang mit dieser neuen militärischen Auseinandersetzung in Europa – zusammen mit einigen fächerübergreifenden Tipps.
Fächerübergreifender Umgang mit dem Ukraine-Krieg
Bevor wir uns als Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer unten mit unserer fachspezifischen Domäne beschäftigen, fragen wir uns zunächst: Wie kannst du den Krieg in der Ukraine unabhängig von unserem Fach Geschichte thematisieren? Vorweg ein, zwei allgemeine Hinweise:
- Wenn du den Krieg in der Sek. I außerhalb fachspezifischer Inhalte thematisieren möchtest, dann denke daran, dass Kolleginnen und Kollegen der Lerngruppe dies ggf. auch schon tun. Sprich dich mit ihnen ab – zu viel an einem Tag ist nicht passend. Klassenlehrerinnen und -lehrer werden das Thema auch aufgreifen, i. d. R. aus fächerübergreifender Perspektive, wie ich es beispielsweise unten anrege.
- In pädagogischer Hinsicht ist es zudem bedeutsam, Krieg weder zu ignorieren – nichts in der Schule zu tun ist keine Option! – noch ihn ständig vor Augen zu führen und sich gedanklich so oft damit auseinander zu setzen, dass Ängste weiter geschürt werden und der Krieg alles weitere überschattet. Denn auch und gerade junge Menschen benötigen hin und wieder (emotionalen) Abstand als Ausgleich und Struktur, die wir in der Schule trotz der nach wie vor belastenden Corona-Regelungen bieten können.
Wie kannst du mit dem Ukraine-Krieg in der Sek. I und Sek. II umgehen?
- Kenne deine Lerngruppe! Falls du es nicht ohnehin schon längst weißt oder dich jüngst informiert hast, dies musst du wissen: Sitzen in deiner Lerngruppe Kinder aus ukrainischen und/oder russischen Familien, die mit besonderem pädagogischen Taktgefühl behandelt werden sollten?
- Schaffe einen geschützten Raum für Emotionen und Fragen! Falls du wissen möchtest, was deine Schülerinnen und Schüler bewegt, welche Fragen sie stellen: Erstelle eine anonyme Abfrage als Freitexteingabe mit dem digitalen Tool deiner Wahl. Wichtig ist, dass du damit für einen geschützten Raum sorgst und jede und jeder die Möglichkeit hat, dort anonym ihre oder seine Gefühle zu äußern bzw. Fragen zu stellen, damit ihr anschließend darüber bzw. über einige der Gefühle und Fragen ins Gespräch kommen könnt. Tools kennst du sicher, ansonsten eigenen sich digitale Pinnwände wie TaskCards oder Padlet sowie Umfrage- und Interaktions-Tools wie z. B. Mentimeter. Zu Padlet findest du mehr Informationen auch in meinem Beitrag Geschichtsunterricht und Schulentwicklung mit Padlet!
- Sensibilisiere für den Umgang mit Social Media! Du solltest – wie auch bereits zur Zeit der Corona-Pandemie die Medienkompetenz deiner Schülerinnen und Schüler im Blick haben und sie fördern – vgl. auch meinen Beitrag zur „media literacy“ im Umgang mit Verschwörungserzählungen im Geschichtsunterricht! Mache deinen Schülerinnen und Schülern bewusst, dass ein behutsamer Umgang mit Nachrichten und Weiterleitungen von Nachrichten in Sozialen Medien auch und gerade in Kriegszeiten besonders wichtig ist. Die Psychologin Pia Lamberty gibt in ihrem Instagram-Post wichtige Tipps: „Ein paar Hinweise zum Umgang mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine auf Social Media“!
- Greife sie auf und fördere sie – die Solidarität! Deinen Schülerinnen und Schülern wird es ein Bedürfnis sein zu helfen. Wir sollten dieses Anliegen auch erzieherisch unterstützen! Nicht immer ist dies direkt möglich, wir wissen aber, dass Hilfe für Geflüchtete vor Ort, kreative Solidaritätsbekundungen und Spendenaktionen, sei es (nur) durch den Verkauf von Waffeln mit blau-gelber Lebensmittelfarbe in der Schule, nicht nur Zeichen setzen, sondern auch wirksam werden können! Zeigt euer Mitgefühl und eure Solidarität! Geldspenden sind flexibler einsetzbar als Sachspenden, wenn man nicht genau weiß, was gebraucht wird!
- Unterstützt die Zivilgesellschaft! Naiv, mag sein, vielleicht aber auch frei nach dem Prinzip Hoffnung einfach einmal angehen: Bist du Schulleiterin oder Schulleiter? Falls nicht, ist es genauso möglich: Überlegt euch schon einmal, ggf. mit Hilfe ukrainischer Vereine vor Ort, mit welcher Schule ihr eine Partnerschaft jetzt oder für die Zeit nach dem Krieg eingehen könnt und möchtet! Mit welcher Schule ihr Schülerinnen- und Schüler- sowie Lehrerinnen- und Lehreraustausche ins Leben ruft!
Hier noch einmal zusammengefasst:
Wie kann ich pädagogisch taktvoll mit dem Ukraine-Krieg umgehen?
Kenne deine Lerngruppe! Sind Schülerinnen und Schüler aus ukrainischen und/oder russischen Familien in der Klasse?
Wie kann ich mit den Gefühlen und Gedanken meiner Schülerinnen und Schüler zum Ukraine-Krieg umgehen?
Schaffe z. B. mit digitalen Tools einen geschützten Raum für die Äußerung von Gefühlen und Fragen!
Wie kann ich Falschinformationen zum Ukraine-Krieg entgegenwirken?
Sensibilisiere für den Umgang mit Sozialen Medien!
Wie können meine Schülerinnen und Schüler sich solidarisch mit Ukrainerinnen und Ukrainern zeigen?
Setzt euch für Geflüchtete ein, hilft Ihnen, spendet, unterstützt Schulen und die Zivilgesellschaft!
Die Opposition zwischen Russland und dem Westen, dem ‚Wir‘ und ‚Sie‘, den ‚Selbst‘- und ‚Fremdbildern‘, prägt nach 1991 nicht nur die russische Philosophie, sondern auch den politischen Diskurs. Die Spaltung in Westler und Nicht-Westler (oder Neo-Slawophile) wurde wieder aktuell.
Scherrer 2014
Wie kannst du mit dem Ukraine-Krieg im Geschichtsunterricht umgehen?
Anlässlich des Krieges Russlands gegen die Ukraine hat die ukrainische Sängerin Khrystyna Soloviy Bella Ciao neu interpretiert – das Lied heißt nun Ukrainische Wut (6. März 2022). Wenn es thematisch passt – und du kannst es in einigen Unterrichtsreihen thematisch passend machen – dann lies meine Blogbeiträge zum historischen Lied Bella Ciao und einer neuen Version aus der Ukraine. Oder sichere dir gleich die Arbeitsblätter dazu zum Download und Einsatz in deinem Geschichtsunterricht!
Wir als Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer haben hier – zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der Fächer Geographie und Politik / Sozialwissenschaften – eine besondere Aufgabe und Verantwortung, denn in diesen Tagen geht es nicht nur, aber auch um Orientierung! Fragen wie …
- Welche Ursachen hat der Konflikt?
- Inwiefern hat das postsowjetische Selbstverständnis Russlands etwas mit dem Ukraine-Krieg zu tun?
- Wie können wir Putins Desinformations- und Propagandakampagnen kritisieren?
- Sollten wir uns derzeit wirklich nicht viel Zeit nehmen können: Welche Unterrichtsreihen bieten thematische Anknüpfungspunkte zum Krieg?
… fallen vorwiegend in unsere fachspezifische Domäne. In meinem Blogbeitrag aus dem Dezember 2022 gebe ich dir auch genauere Hinweise zur Thematisierung ukrainischer Geschichte in unserem Geschichtsunterricht. An dieser Stelle findest du darüber hinaus einige Anregungen, wie du obige Fragen in Teilen weiter verfolgen kannst:
- Gib Orientierung! Selbstverständlich macht es Sinn, wenn deine Schülerinnen und Schüler zunächst einmal historische Sachkenntnis erwerben. In vielen Fällen wird die historische Genese des Ukraine-Krieges jedoch nicht in unsere bekannten und auferlegten Themen passen. Daher: Nicht alles muss immer von deinen Schülerinnen und Schülern selbst erarbeitet werden. Gib Orientierung durch einen Mini-Vortrag zur Genese der derzeitigen Krise und Problematik – aus zeitgeschichtlicher oder auch historischer Sicht mit längerem Atem. Oder gestalte dein Mini-Input zusammen mit zwei, drei Schülerinnen und Schülern – zusammen mit der Lehrerin bzw. dem Lehrer lernen, aber ihnen die Bühne für die Präsentation überlassen! Mein Lektürehinweis hierzu ist: Timothy Snyders Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin (vgl. Snyder 2011). Ohnehin ist Timothy Snyder eine gute Adresse für dich und dein „Hintergrundwissen“, z. B. mit diesem YouTube-Video!
- „Bloodlands“: Zur Geschichte der Ukraine im 20. Jahrhundert ist v. a. die Position zwischen „Hitler“ und „Stalin“ bedeutsam. Die Region, die derzeit im Fokus steht, hat der Historiker Timothy Snyder als „Bloodlands“ (vgl. Snyder 2011) bezeichnet – diejenige Region in Osteuropa, die zwischen Hitler und Stalin unter zwei Diktaturen, Flucht, Vertreibung, Deportationen, Hunger und Hungertod im Holodomor sowie Mord zu leiden hatte. Zudem begannen die ersten großen Pogrome des Holocausts auf dem Gebiet der heutigen Ukraine. Dieser Hintergrund ist auch wichtig, um Putins Propaganda kritisieren zu können. Denn die meisten Ukrainer waren alles andere als Nationalsozialisten und es gibt nur wenig ”Neo-Nazis“ oder (Neo-)Faschisten, die zudem bei den jüngsten Wahlen in der Ukraine kaum nennenswerte Ergebnisse erzielten. In einer Unterrichtsreihe zum Zweiten Weltkrieg, Nationalsozialismus oder Kalten Krieg findet diese Thematik sicher ihren passenden Ort (vgl. auch Hryciuk 2013)!
- Überblick zum postsowjetischen Selbstverständnis: „Wir und die anderen“, „Selbst- und Fremdbilder“ – dies sind Schlagwörter unserer curricularen Vorgaben. Du musst in diesem Zusammenhang aber nicht immer nur bei den Römern und Germanen „kleben“ bleiben, überspitzt gesagt. Dank Kompetenzorientierung im Geschichtsunterricht lässt dich diese Thematik auch auf andere Inhaltsbereiche übertragen, die zudem mehr Relevanz besitzen als viele der uns curricular aufgetragenen! So auch hier: Zum postsowjetischen Selbstverständnis gehört ein seitens Russlands offiziell konstruiertes Fremdbild des „Westens“. Mein für dich aus meiner Sicht fast schon unverzichtbarer Literaturhinweis dazu – insgesamt nur 22 Minuten Lesezeit: Russland verstehen? Das postsowjetische Selbstverständnis im Wandel (Scherrer 2014).
- Kritik von Kriegspropaganda: Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst! Vorausgesetzt, deine Schülerinnen und Schüler haben ausreichend historische Sachkenntnis für ihre Kritik bzw. sachliche und wertorientierte Beurteilung erworben: Ihr könnt auch Putins Kriegspropaganda analysieren und kritisieren! Diese Thematik lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres einbauen, denn ihr müsst sowohl auf historische als auch auf zeitgeschichtliche Kenntnisse zurückgreifen.
- Anknüpfungen an weitere Themenbereiche: Der Krieg in der Ukraine lässt sich insofern auch indirekt thematisieren, als dass du verwandte Themenbereiche in sonst inhaltsfernen Unterrichtseinheiten aufgreifst, z. B.: Versailler Vertrag und Nachkriegsordnung: Völkerrecht und Selbstbestimmungsrecht der Völker, Konzepte von Staatssouveränität; Holocaust: Auf dem Portal Die Quellen sprechen (vgl. meinen Blogbeitrag dazu) findest du auch Dokumente zu Pogromen auf dem Territorium der Ukraine; Umgang mit NS-Zeit: Nürnberger Prozesses mit (juristischer) Verfolgung von Angriffskriegen, davon ausgehend Ächtung von Krieg als politischem Mittel; Kalter Krieg: Thematisierung der NATO als Verteidigungsbündnis; Flucht, Vertreibung, Migration: Ein Interview mit einem aus der Ukraine im Jahr 1990 Geflüchteten findest du auch im Archiv der Flucht. Ich stelle dir das Projekt hier vor.
Obige Listen mit Anregungen, Tipps und Hinweisen zum Umgang mit dem Krieg in der Ukraine sind sicher alles andere als abgeschlossen! Hast du weitere Anregungen, Fragen oder Rückmeldungen? Dann nutze die Kommentarfunktion unten und lass es mich und uns wissen!
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Autor: Utz Klöppelt
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Literatur
- Grzegorz Hryciuk, Małgorzata Ruchniewicz, Bożena Szaynok und Andrzej Żbikowkski (2013). Umsiedlungen, Vertreibungen und Fluchtbewegungen 1939-1959. Atlas zur Geschichte Ostmitteleuropas, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn.
- Timothy Snyder (2011). Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn.
- Scherrer, Jutta (2014). „Russland verstehen? Das postsowjetische Selbstverständnis im Wandel“, Aus Politik und Zeitgeschichte 47-48, 11.11.2014, URL: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/194818/russland-verstehen-das-postsowjetische-selbstverstaendnis-im-wandel/ (Zuletzt aufgerufen: 2.3.2022).
Bildnachweise
- Beitragscover: Verzweiflung (Symbolbild) © Canva, Utz Klöppelt – Geschichte 21.
- Logo Geschichte 21 in Ukraine-Farben © Canva, Utz Klöppelt – Geschichte 21.
- Portrait © Utz Klöppelt.
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